Keno Goertz reviewed Imperium by Christian Kracht
Platte Ironie und stumpfe Hitlervergleiche
2 stars
Content warning Spoilers
Christian Krachts Imperium erzählt die Geschichte von August Engelhardt, einem Deutschen, der Ende des 19. Jahrhunderts auf die Insel Kabakon im heutigen Papua-Neuguinea auswanderte, dort einen "Sonnenorden" gründete und sich nach seiner Philosophie des Kokovorismus zeitweise ausschließlich von Kokosnüssen ernährte. Das ist tatsächlich real so passiert und der Roman orientiert sich in seiner Erzählung lose am echten historischen Geschehen.
Spannend ist die Frage, wer in diesem Roman eigentlich der Erzähler ist und was er uns mitteilen möchte. Die Benutzung des N-Worts durch den Erzähler und die immer wiederkehrenden rassistischen Beschreibungen ließen mich zuerst an eine satirische Darstellung eines Deutschen aus der Kolonialzeit denken. Gleichzeitig ist der Erzähler aber allwissend und kann den Nationalsozialismus voraussehen. Am Ende lernt man beiläufig, dass die Großeltern des Erzählers beim Holocaust weggeguckt haben, der Erzähler also aus Krachts Generation ist. Es stellt sich also die Frage: Spricht da Kracht selbst?
Im Feuilleton gab es einiges an Aufregung, nachdem Georg Diez in seiner SPIEGEL-Rezension genau diese These vetrat und das Buch und den Autor als "Türsteher der rechten Gedanken" einordnete. Welt, FAZ, FR und Co. eilten dem Autor schnell zur Hilfe ob solcher "Verleumdung". In einem offenen Brief monierten Autor*innen, Diez habe "die Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten" und mahnen vor dem Ende freier Kunst, sollte "diese Art des Literaturjournalismus Schule machen".
Dabei stützt Diez sein Urteil auf den teils fragwürdigen bis erschreckenden Briefwechsel zwischen Kracht und Woodard über das 1886 von deutschen Nationalisten in Paraguay gegründete Dorf "Nueva Germania", das als Zufluchtsoch der "arischen Rasse" dienen sollte und bis heute existiert. An Woodard schrieb Kracht zum Beispiel:
Als Künstler, der diesen oberflächlichen Unsinn satthat, der die westliche Kultur heute definiert, fühle ich mich hingezogen zu diesem arischen Vakuum in der Mitte des Dschungels.
Laut Kracht repräsentiere Nueva Germania "einen ästhetischen Schutzort, wie ihn sich Richard Wagner erträumte, ein Ort, an dem sich Arier friedlich dem Leben und der Verbesserung der germanischen Kultur widmen können."
Auf diese Aussagen, die eben nicht ein literarischer Erzähler, sondern Christian Kracht persönlich von sich gibt, und die Imperium in ein anderes Licht rücken, gehen die von "Verleumdung" und "Denunziation" schreienden Feuilletonist*innen und Autor*innen leider nicht ein.
Aber selbst wenn Diez mit seiner Einordnung falsch liegt und der Briefwechsel zwischen Kracht und Woodard eher als provokantes, zugekokstes Künstler*innengehabe einzuordnen ist. Selbst wenn man annimmt, dass die ganzen rassistischen Beschreibungen in Imperium ironisch sind (was ich im übrigen tue): Gelungen ist die Ironie in meinen Augen nicht.
Eine der wenigen Dinge, die man von den indigenen Melanesiern lernt, ist, wie sie mit einem christlichen Missionar verfuhren, der im Alkoholrausch einem ihrer aus Holz gefertigten Idole ein Ohr abschnitt.
Selbiger Padre fand sich, kaum hatte er den Rausch ausgeschlafen, von seinem eigenen Beil erschlagen wieder, hernach zum Ausbluten an einen Baum gehängt und anschließend auf einem Zeremonialstein in kleine Stücke portioniert, von denen die ausgesuchtesten dem damaligen Besitzer der Figur, einem einflußreichen Häuptling, gedämpft und in Pandanusblätter gewickelt, serviert wurden.
Auch bei dem Helgoländer Aueckens, der Engelhardts Sonnenorden beitritt, kommt Kracht, eine Seite nachdem wir von Aueckens Homosexualität erfahren, gleich mit dem nächsten reaktionären Stereotyp um die Ecke. Dem jungen Melanesier Makeli, der (noch ein Klischee) von Engelhardt das Deutschsein lernt und sich von den anderen "Wilden" abgrenzt, passiert auf einem Spaziergang im Wald nämlich das folgende.
Da packt ihn, von rechts aus dem Unterholz tretend, völlig unerwartet, der überaus kräftige, somersprossige Helgoländer, schmiert sich mit Daumen und Zeigefinger aus einer zu diesem Zweck mitgeführten Flasche Kabakon-Kokosöl einen Klecks Lubrikant auf die Spitze seines erigierten Gliedes und vergewaltigt den wie ein verletztes Tier schreienden Jungen in einem Palmenhain.
Bemerkenswert: Eine Verurteilung des Antisemitismus kriegt der Erzähler erfreulicherweise an mehreren Stellen hin. Es wäre also kein literarischer Stilbruch, auch mal an einer Stelle Rassismus oder Homophobie zu verurteilen. Aber vielleicht hat Kracht mit denen nicht so das Problem, schreibt deswegen auch gerne mal das N-Wort aus, und lässt seine Figuren zu rassistischen und homophoben Klischees verkommen.
Die Stellen des Romans, die mir zunächst brilliant erschienen, waren die Beschreibungen von Engelhardts irrwitizger und dennoch irgenwie plausibel klingender Philosophie des Kokovorismus.
Cocos nucifera war, so hatte Engelhardt für sich erkannt, die sprichwörtliche Krone der Schöpfung, sie war die Frucht des Weltenbaumes Yggdrasil. Sie wuchs an höchster Stelle der Palme, der Sonne und dem lichten Herrgott zugewandt; sie schenkte uns Wasser, Milch, Kokosfett und nahrhaftes Fruchtfleisch; sie lieferte, einzigartig in der Natur, dem Menschen das Element Selen; aus ihren Fasern wob man Matten, Dächer und Seile, aus ihrem Stamm baute man Möbel und ganze Häuser; aus ihrem Kern produzierte man Öl, um die Dunkelheit zu vertreiben und die Haut zu salben; selbst die ausgehöhlte, leere Nußschale lieferte noch ein ausgezeichnetes Gefäß, aus dem man Schalen, Löffel, Krüge, ja sogar Knöpfe herstellen konnte; die Verbrennung der leeren Schale schließlich war nicht nur jener herkömmlichen Brennholzes bei weitem überlegen, sondern auch ein ausgezeichnetes Mittel, um kraft ihres Rauches Mücken und Fliegen fernzuhalten, kurz, die Kokosnuß war vollkommen. Wer sich ausschließlich von ihr ernährte, würde gottgleich, würde unsterblich werden.
Schließlich überkommt Engelhardt gar die Erkenntnis, dass, wer sich ausschließlich von Kokosnüssen ernährt, Theophage ist - Gottesser. Dieser philosophische Gedanke ist dann Anknüpfungspunkt dafür, dass Engelhardt später zum Kannibalen wird. Das ganze hielt ich für absolut geniale Satire.
Nachdem ich mir das Buch Eine sorgenfreie Zukunft des historisch echten Engelhardts angeguckt habe, musste ich aber feststellen: Nichts davon ist von Kracht erdachte Satire. Das ganze hat Engelhardt in seinem Buch exakt so geschrieben. Selbst Engelhardts Kannibalismus im Roman basiert auf Zitaten des echten Engelhardts:
So sehr die Menschenfresserei der Forderung der Ebenbürtigkeit und damit der Forderung der Logik entspricht, so sehr widerspricht sie der Forderung des Herzens, des Gemüts, der Moral.
Wenn Krachts Leistung also nicht in der Erschaffung dieser sehr unterhaltsamen Philosophie liegt (die Lektüre von Eine sorgenfreie Zukunft ist genauso amüsant), wo liegt sie dann? In der Ästhetik der Teils zwei Seiten spannenden Nebensatzkonstruktionen? Oder in den ständig auftauchenden Vergleichen zwischen Engelhardt und Hitler? Gleich zu beginn heißt es:
So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewußtsein dringen, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent.
Über diese Psychologisierung von Hitler als jemand, der genauso wahnsinnig ist wie Kokosnuskult-Engelhardt, kommt Kracht an keiner Stelle hinaus. Die Parallele zieht er aber immer wieder. Dahinter steckt der Gedanke, die Verbrechen des Nationalsozialismus gingen vor allem auf einen Verrückten zurück. Ach, wäre Hitler nur so tragikomisch gescheirtet wie Engelhardt! Oder im ersten Weltkrieg gestorben, dann wären wir Deutschen vor dem ganzen Mist verschont geblieben!
Einer der Millionen an der Westfront explodierenden, glühenden Granatsplitter bohrt sich wie ein weißer Wurm in die Wade des jungen Gefreiten der 6. Königlich Bayerischen Reserve-Division, lediglich ein paar Zoll höher, zur Hauptschlagader hin, und es wäre wohl gar nicht dazu gekommen, daß nur wenige Jahrzehnte später meine Großeltern auf der Hamburger Moorweide schnellen Schrittes weitergehen, so, als hätten sie überhaupt nicht gesehen, wie dort mit Koffern beladene Männer, Frauen und Kinder am Dammtorbahnhof in Züge verfrachtet und ostwärts verschickt werden, hinaus an die Ränder des Imperiums, als seien sie jetzt schon Schatten, jetzt schon aschener Rauch
Nein, Christian. Deine Großeltern und meine Urgroßeltern haben eben nicht nur weggeguckt. Sie haben mitgemacht.
Anrechnen kann ich dem Autor letztendlich vor allem die Themenwahl dieses sehr skurrilen Abschnittes deutscher Kolonialgeschichte, durch die auch das Lesen von Imperium an keiner Stelle langweilig war. Etwas wirklich interessantes zu sagen hat der Roman hingegen nicht.